Altbriefe als Zeugen vergangener Wirrnisse
Altbriefe als Zeugen vergangener Wirrnisse
Offenbar leidet jede Zeit unter mehr oder weniger Irrungen. Manche dieser Irrungen klären mit der Zeit auf, wie als Beispiel der Irrtum, dass die Erde eine Scheibe sei.
Andere wiederum lassen sich, unverrückt festgekrallt im Gedächtnis von Generation zu Generation überliefern. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die bedrohliche Angst, dass die Pockenimpfungen bei Frauen zu Unfruchtbarkeit führen würden, welche während der bayrischen Besatzungszeit von 1806 bis 1814 quer durch Tirol gegeistert ist, und siehe da: derzeit werden den Impfungen gegen die Corona-Pandemie mit 200jähriger Dummheit die gleichen Folgen wie damals nachgesagt.
Der etwas zerrüttete Zustand unserer Gesellschaft ist offenbar ein fruchtbarer Nährboden für Wirrnisse und dazugehörige Gerüchte, die wir neuerdings Fakenews nennen. Und wie immer, wenn wir besonders neugierig auf Vorgänge und Verhaltensweisen unserer Ahnen sind, helfen uns manche alte Briefe weiter, nicht nur die sachlichen Lebensumstände unserer Vorgänger zu erfahren, sondern auch so manchen geistigen und seelischen Zustand zu erahnen.
Der folgende Briefinhalt ist ein Beispiel dafür. Er ist dem leichteren Lesen zuliebe in gängige Rechtschreibung transkribiert und beschäftigt sich nicht mit astronomischen oder medizinischen, sondern mit nicht minder absonderlichen Wirrnissen und Befürchtungen in Glaubensfragen:
Inhalt eines dringenden anonymen Ortsportobriefes vom 17. 8. 1849 von Wien an die K. K. Stadthauptmannschaft
Ein Pastor von Triest ist hier, der in Verbindung mit der Deutschkatholiken-Gesellschaft in Verbindung steht und nur Kommunismus predigt. Dass man in unseren Ländern so etwas duldet! Auf die Länge werden Böhmische, Ungarische, Slowakische, Kroatische und weiß Gott wie sie alle heißen mögen, Katholiken unter dem Deckmantel hervorgehen. Von Rechtswegen sollte man sie Clubkatholiken nennen, weil sie nur immer clubweise zusammen sind. Von einer christlichen Lehre ist gar kein Grund vorhanden bei ihnen, denn sie verwerfen die Heilige Schrift darinnen doch die Grundgesetze der christlichen Religion enthalten sind, wo doch so viele Millionen Menschen Trost und Beruhigung gefunden, und der Esel sagt, der Mensch müsse aus sich selbst hervorgehen. Kann ein Mensch ohne Unterricht oder sonst einen Leitfaden etwas lernen? Überhaupt ist die ganze Lehre ohne Grund, und wie ich schon erwähnte nur zum Kommunismus geeignet. Die heil. Schrift müsste trügen, wo es heißt Arme und Reiche. Ich bin kein Reicher aber doch dank der Lehren der christlichen Religion zufrieden. Dass man in unseren Staaten so etwas duldet, wodurch die wenigen Leute noch irre geführt werden, ist so traurig.
Der gezeigte Beleg möge Altbriefsammler einmal aus einem ungewohnten Blickwinkel auf den Wert ihrer historischen Zeitzeugnisse aufmerksam machen.
Hubert Jungwirth