Zwischen den Regimen

Zwischen den Regimen

 

Zwischen den Regimen

 

Nicht nur für Historiker sind Zusammenbrüche alter Regime und die Machtübernahme neuer Regime bedeutende Zäsuren ihres Faches, so wie sich in jüngster Zeit der Zusammenbruch der westlichen Herrschaft und die Machtergreifung durch die Taliban als leidvolles Beispiel ereignet haben.

Auch für Philatelisten spielen solche Ereignisse eine wichtige Rolle, weil sie meist Veränderung postalischer Grundlagen wie Währung, Tarife und Postordnungen Tarife zur Folge haben.

Gesuchte Belege aus solchen turbulenten Zeiten sind Briefe, die noch unter der zusammenbrechenden alten Herrschaft aufgegeben aber bereits unter der neuen Herrschaft zugestellt wurden. Man nennt sie Überroller, weil sie auf ihrem Postweg vom Umbruch überrollt worden sind.

Der folgende Brief wurde am 10. 4. 1945 (= 3½ Wochen vor dem Einmarsch der Amerikaner in Innsbruck) geschrieben. Hans Burkhardt berichtet darin, dass er von München nach Garmisch weitergefahren sei, anschließend aber wegen Streckenzerstörung 12 km bis Hochzirl zu Fuß gehen musste und wie schön insbesondere das Inntal sei. Vermutlich im Hinblick auf die Zensur noch kein Wort über die Endzeitstimmung des 3. Reiches oder die Bombenschäden in Innsbruck.

                           

Der Brief wurde mit einer 12 Pf. Hitlermarke frankiert, erhielt dann den Aufgabestempel (12b) INNSBRUCK 2/10. 4. 45 20/ 2m und wurde sodann in Richtung Leipzig abgefertigt.

Den Umbruch mit der Einnahme Leipzigs am 19. 4. hat er vermutlich noch in einem Sack der Reichspost erlebt.

Herausgeholt dürfte er wohl erst von der neuen deutschen Post worden sein dürfte, von der zuerst das Symbol des Hitlerregimes geschwärzt wurde. Daraufhin wurde der Brief von der amerikanischen Zensurstelle geöffnet, als unbedenklich befunden, mit Zensurstreifen wieder verschlossen und mittels Zensurstempel zur Zustellung freigegeben.

 

Der folgende Brief ist schwerer zu benennen: Ist es ein hundertjähriger Überroller? Oder ist es ein hundertjähriger Wendebrief?

 

Ursprünglich wurde er jedenfalls am böhmischen Postamt Kaplitz am 12. Jänner 1846 als einfacher Frankobrief nach Vordernberg aufgegeben, wofür er 6 Kreuzer Conventionsmünze bezahlte. Da er noch mit der Mallepost fuhr und auf den Straßen vermutlich Schnee lag, kam er erst am 17. Jänner an. Und nun begann eine wundersame Unterbrechung seiner Postroute, während mehrere Währungen und sogar zwei Weltkriege unbemerkt an ihm vorübergingen.

Aber pünktlich am 17. Jänner erweckte ihn ein pfiffiger Philatelist aus seinem Schlaf, adressierte die leere Innenseite an den Herrn Johann Skarpil in Leoben und frankierte ihn mit zwölf Groschen der bunten Landschaftsserie: Und ich zweifle nicht daran, dass er sein postalisches Ziel präzise erreicht hat. Auf welchen Wegen er allerdings zu mir gefunden hat, bleibt mir ein Rätsel.

 

Hubert Jungwirth



Copyright