Ein rätselhafter Krankentransport
Ein rätselhafter Krankentransport
Es gibt Sammler, die nur schöne oder bis ins Detail geklärte Belege sammeln. Solche Sammlerfreunde sollten diesen Beitrag nicht lesen, weil er sich mit einem unattraktiven Beleg beschäftigt, der mehr Mutmaßungen und Rätsel aufwirft als Erklärungen. Das beginnt schon damit, dass ich in Unkenntnis der wirklichen Bezeichnung des folgenden Dokuments dieses einfach Stundenpass für eine Mitleidsfuhre nenne.
Die bekundete Begebenheit begann mit folgender ärztlichen und gerichtlichen Bestätigung:
Daß Vöhrer Johan mittelst Vorspann nach Hause
geschickt werden kann, wird hiemit bestättiget.
Brixen den 1ten Jänner 1835
Gesehen mit Anweisung von
Mitleidsfuhre ¼ Vorspannwagen.
Die Mitleidsfuhre selbst begann aber erst am 2. Jänner mit dem Vorweis des Untersuchungsgerichtes Brixen, auf dem die Begründung für den folgenden Transport, seine Etappen sowie die dafür aufgewendeten Leistungen zu protokollieren waren:
Vorweis
Johann Wöhrer von Fassa, welcher sich im diesseitigen
Gchtsbezirke auf Arbeit befunden hat, und durch
mehrere Täge im hiesigen Civilspitale krank
gelegen ist, wird nunmehr in Folge ärztl. Zeug-
nisses reconvalescirt, mittels Mitleidsfuhre
von hier über Clausen , Botzen nach
Fassa abgeliefert.
- K. Landes Crim. UntersuchungsGcht.
Brixen den 2. Jänner 1835.
N- 52. Eingetroffen wird verpflegt und am 4. D. M. nach Botzen befördert.
- K. Landgericht Klausen am 2. Jänner 1835
Dazu folgende Mutmaßungen:
Mitleid dürfte auf den mittellosen Genesenden hindeuten, für dessen Heimtransport die öffentliche Hand aufkam.
Da die Landrichter damals die Gemeindeobrigkeit innehatten und zum Beispiel auch die Organisation und Abrechnung der Unkosten für Marschstationen durchziehender Militärtruppen in ihren Händen lagen, scheint es wahrscheinlich, dass sie auch für die Abwicklung vom Mitleidsfuhren zuständig waren.
Da der Stundenpass keinen Hinweis auf die Höhe der Kosten für Transport, Verpflegung und Nächtigung aufweist, liegt die Annahme nahe, dass es dafür landesweit gültige Pauschaltarife gab.
Für die Beförderung mit dem Postwagen von Brixen bis Neumarkt könnte ein Viertel des Tarifes für zweispännige Kaleschen ersetzt worden sein – ebenso für die Botenfahrt ins hinauf nach Vigo im Fassatal.
Dass der Transport über ungefähr 100 km in 5 Etappen unterteilt wurde, hing vermutlich mit dem schwachen Zustand des rekonvaleszenten Wöhrer zusammen und mit eiskalten Wintertagen. Es gab ja keinerlei Heizung in den Wagen und Schlitten, lediglich kupferne Wärmflaschen, deren Wasser an jeder Station gewechselt wurde, sowie Felle und Decken zum Zudecken. Und während der Manipulationspausen konnten sich die Passagiere alle 2 Stunden in den geheizten Wartezimmern der Posthäuser aufwärmen.
Die zweite Seite des Stundenpasses enthält wortwörtlich folgende Bestätigungen:
Er ist heute eingetroffen und ver=
Pflegt worden, und wird morgen mit
¼ Vorspann Mitleids Fuhre nach neu=
Markt befördert.
Magistrat Botzen den 4ten Jänner 1835
N-30
Heute eingetroffen
Virpflegt und morgen
Mitelst ¼ VorspansWagen
nach Cavalese befördert.
- K. Landgericht Neumarkt
am 3ten Jänner 1835
Visto arrivare oggi di 6 Gen
di sera, e fara traspotato in
Fasa mediante un quarto di
carro. Ebbe il necessario
vito.
Dall 7di Guidicio di
Cavalese di 7 Gen 1835
Visto arrivare oggi 8
Gennajo 1835 e
rimesso alla propia abitozione a Pinia
Dall M. R. Guid. Dist.
Di Fassa Vigo gli 8 gennajo 1835
Der sorgsam ausgefüllte Stundenpass schließt mit der Rücksendung am 8. 1. 1835 mittels Boten nach Neumarkt und mit der k. k. Post weiter an das Distriktsgericht Brixen zur weiteren Abwicklung der Causa: Mitleidfuhre des Johann Vöhrer.
Sollte ein Sammler das eine oder andere Rätsel lösen können, wäre Tyrolphila für eine nähere Info dankbar.
Hubert Jungwirth